Leslie Kerns Feminist City als nur partiell genuin feministisches Plädoyer
Von Literaturkritik.de zensiert – progressive Kritik am Mainstream unerwünscht
Von Verena Brunschweiger
Nur eine Mutter darf ihre Brust öffentlich entblößen, ohne gesteinigt zu werden. Bei Nicht-Müttern, die mit tiefem Ausschnitt oder gar ohne BH unterwegs sind, fallen sofort diskriminierende Bemerkungen und Blicke – nicht so bei Stillenden. Dadurch wird die Dichotomie Hure-Heilige natürlich ganz massiv forciert statt abgeschafft. Das ist Leslie Kern nicht so ganz klar. Ebenso wenig, dass Gebären und (die permanent von ihr so bezeichnete) Sexarbeit die zwei wichtigsten Stützpfeiler sind, die das von ihr angeblich kritisierte Patriarchat Tag für Tag re-produzieren.
Aber abgesehen davon beinhaltet das Buch durchaus wertvolle Erkenntnisse und Forderungen, wie man eine Stadt für Frauen lebenswerter gestalten könnte. Wenn man das angesichts exorbitant restriktiver Corona-Maßnahmen denn noch könnte…
Kern schreibt sehr eingängig von typischen Erfahrungen, die wohl tatsächlich jede Frau schon gemacht hat: beispielsweise das leicht mulmige Gefühl, wenn man allein im Dunkeln spätnachts unterwegs nachhause ist und ein Unbekannter hinter einem geht. Die gewöhnliche Stadt wäre eben auf den durchschnittlichen weißen cis-Mann zugeschnitten.
Generell beschreibt die Autorin ihre Arbeit folgendermaßen: Feministische Geografinnen stützten sich „oftmals auf ihre eigenen Erfahrungen, um zu erforschen, wie Geschlechterrollen mit anderen sozialen Ungleichheiten verknüpft sind und welche Rolle der Raum in der Strukturierung von Unterdrückungssystemen spielt.“
Das erklärt wohl, warum relativ wenig Forschungsliteratur vorkommt in Kerns Buch, sondern vor allem persönliche Erlebnisse sowie schon enorm breit ausgewalzte Szenen aus Erzeugnissen der Populärkultur (allen voran: die Serie Sex and the City).
„Für viele von uns sickert die Botschaft jedoch eher als intravenöse Infusion in unser Blut, sie breitet sich so kleinschrittig in unseren Systemen aus, dass sie, sobald wir uns ihrer bewusst werden, bereits komplett im Blutkreislauf aufgenommen ist. Sie ist bereits ganz natürlich, selbstverständlich, normal.“
Die Verfasserin schildert, wie sich die weibliche Angst entwickelt – für mich jedoch klappt genauso auch die pronatalistische Indoktrination. Anders kann man sich zumindest nicht erklären, warum sie ernsthaft Sätze wie diesen völlig ironiefrei bringt:
„Dennoch frage ich mich, ist die Flâneuse jemals schwanger oder schiebt sie jemals einen Kinderwagen vor sich her?“
Natürlich nicht, möchte man als echauffierte Leserin rufen, das ist doch gerade die Pointe, eine Flâneuse lässt sich niemals zur Mutter, die mit einem „lauten, stinkenden Baby“ sich und die Umwelt belastet, degradieren. Kern entblödet sich denn auch nicht, zu berichten, wie ein Mann, der ihr mit dem Kinderwagen half, infolgedessen rückwärts die Treppe hinabstürzte.
Dabei gelingt es ihr zumindest, festzustellen, dass Frauen wie sie selbst nicht unerheblich zur Gentrifizierung bestimmter Wohngegenden beitragen und prä-Corona vor allem in Bereichen wie Konsum, Kultur und Entertainment zu finden waren. „Nicht einmal von der archetypischen Vorstadtmutter der 1950er-Jahre wurde erwartet, dass sie ihre Kinder fortlaufend bespaßte.“ Damit ist es jetzt aber ohnehin vorbei, aufgrund der Maßnahmen werden Frauen tatsächlich wieder in die 50er katapultiert.
Kein Wunder also, dass in so einem Buch kinderfreie Frauen kaum vorkommen, Lesben en passant und Seniorinnen fast überhaupt nicht. Schwarze und indigene Frauen sowie Leute, die nicht der Mittelschicht angehören, werden jedoch adäquat in ihre Überlegungen einbezogen.
Ein paar Klischees müssen aber scheinbar doch sein. So fragt Kern, wie eine Stadt „voller Fürsorge“, also in ihren Augen weiblich-feministisch, wohl aussähe.
Barrierefreie Beförderung, bezahlbarer Wohnraum, sichere öffentliche Toiletten (wobei sich die Autorin für die Version ausspricht, die die Benutzung von Damentoiletten durch Trans-Frauen erlaubt – ein feministischer Dauerstreitpunkt) sind zwar keine neuen, aber sicher zeitlos vernünftigen Forderungen – zumal viele Frauen im Trikont davon nach wie vor nur träumen können.
Die schönsten Stellen in Kerns Buch sind zweifellos die Schilderungen diverser Demos, an denen sie teilnahm: Take Back The Night, Slutwalks etc. Absolut treffend und auch jetzt in besonderem Maße virulent ihre Kritik an der Polizei, die eben wahrlich „keine verlässliche Verbündete ist, wenn es darum geht, Gewalt gegen Frauen zu beenden.“
Stereotype jeglicher Art, so Kern richtig, verstärken die Angst, die medial noch geschürt wird: nicht nur in Kanada, auch und gerade in Deutschland werden reißerisch Klischees bedient, Frauen wären in der Stadt nicht sicher (Beispiel Flüchtlinge, welche ja nach Ansicht mancher Organe ausschließlich männlich, zwanzigjährig und islamistisch angehaucht sind und aus einem einzigen Grund hierherkommen: um deutsche Frauen zu vergewaltigen). In der heterosexuellen Kleinfamilie hingegen wäre man als Frau sicher. Deutsche Männer sind ja allesamt ganz wunderbar und behandeln ihre Frauen so, dass man sich fragt, wieso überhaupt jemals von häuslicher Gewalt „hier bei uns“ die Rede sein muss…
Feminist City beinhaltet zahlreiche interessante Anregungen und korrekte Feststellungen und wenn man sich nicht stört an der Beweihräucherung des Pronatalismus und an der Verharmlosung des patriarchal-kapitalistischen Systems der Prostitution, dann ist dieses Buch eine bereichernde Lektüre, auch in Zeiten, in denen irrationale Ausgangssperren etc. den Frauen jegliche Möglichkeit, öffentliche Räume einzunehmen oder gar zu gestalten, prinzipiell verwehren.
Leslie Kern: Feminist City.
Aus dem Englischen von Emilia Gagalski
Unrast-Verlag, Münster 2020
192 Seiten, 14.80 EUR
ISBN: 978-3-89771-332-1
Leslie Kern ist assoziierte Professorin für Geografie und Ökologie und Direktorin der Frauen- und Geschlechterstudien an der Mount Allison University. Sie lehrt Geografie mit einem Fokus auf urbane, soziale und feministische Bewegungen.
(Quelle: Unrast-Verlag)